R. Bondt: Handelsdiplomat Jean Hotz

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Titel
Der Minister aus dem Bauernhaus. Handelsdiplomat Jean Hotz und seine turbulente Zeit


Autor(en)
Bondt, René
Erschienen
Zürich 2010: Neue Zürcher Zeitung - Buchverlag
Anzahl Seiten
320 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Oscar Fritschi

Der Titel der Biographie über Jean Hotz assoziiert die Tellerwäscher-Karriere eines Zürcher Bauernsohnes, der als Direktor der Handelsabteilung zu einem der prestigereichsten Posten der Bundesverwaltung aufstieg. Der Untertitel weist demgegenüber darauf hin, dass die Darstellung dem Chef der Delegation für die Wirtschaftsverhandlungen der Schweiz mit dem Dritten Reich während des Zweiten Weltkrieges gilt und damit über eine regional interessierende Personendarstellung hinaus einen Beitrag zu einer umstrittenen Periode der Geschichte unseres Landes liefern will. Als Tellerwäscher-Karriere lassen sich Lebenslauf und berufliche Laufbahn des 1890 in Nänikon bei Uster geborenen Jean Hotz sehr wohl verstehen. Über eine Banklehre und ein Studium auf dem zweiten Bildungsweg aus der landwirtschaftlichen Familientradition ausgeschert, wirkte er kurze Zeit als Lehrer an der kantonalen Handelsschule, bevor er 1922 in den Dienst des Bundes trat und eine steile Karriere durchlief. 1935 zum Direktor der Handelsabteilung (heutige Bezeichnung mit erweiterten Aufgaben: Staatssekretär seco) ernannt, amtete Jean Hotz während annähernd zweier Jahrzehnte, bis 1954, als Leiter der schweizerischen Aussenwirtschaftspolitik. Er gehörte zu den prägenden Figuren auf diesem Chefbeamtenposten, der als Nährboden starker Persönlichkeiten galt und gilt. Erinnert sei etwa an die späteren Bundesräte Ernst Wetter und Hans Schaffner, Nationalbankchef Edwin Stopper und IKRK-Präsident Cornelio Sommaruga.

Hotz wird menschlich als Frohnatur, beruflich als dossierfestes Arbeitstier dargestellt. Seine die Herkunft nicht verleugnende Eigenart vermag eine Anekdote gut zu illustrieren. Als der aus dem Sitzungszimmer gerufene deutsche Delegationsleiter bei den Wirtschaftsverhandlungen zurückkehrte und seinen aufspringenden und Haken schlagenden Unterhändlerkollegen fanfarenartig die Kapitulation Belgiens verkündete, soll der Chef der sitzen gebliebenen Schweizer Abordnung mit der Bemerkung gekontert haben: «Meine Herren, wir waren beim Doppelzwirn…» Nüchtern, bodenständig, wohl auch bauernschlau, mit urchig-rustikaler Sprache, ging von Hotz eine nicht dem üblichen Bild des Wirtschaftsdiplomaten entsprechende Ausstrahlung aus.

Das übergeordnete Ziel der Aussenwirtschaftspolitik während des Krieges war für Jean Hotz und seine beiden ständigen Partner in den Verhandlungen – Heinrich Homberger, Direktor des Vorortes, und Robert Kohli vom Politischen Departement – die Versorgungssicherheit der Schweiz. Das bedeutete, dass eine gewisse Durchlässigkeit der alliierten Wirtschaftsblockade beziehungsweise der Gegenblockade der Achsenmächte erreicht werden musste. Der Handlungsspielraum verengte und öffnete sich dabei annähernd in Parallele zum Kriegsverlauf. Bis 1942 musste sich unser Land von Hitlerdeutschland immer höhere Clearingkredite zur Vorfinanzierung ihrer Exporte abpressen lassen, was problematisch war, da sie zu einem erheblichen Teil Rüstungsgüter umfassten. Nach einem halben Jahr des vertragslosen Zustandes und gegenseitiger Retorsionsmassnahmen gelang es dann der Schweiz, die sich ändernde Lage auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkrieges auszunützen und ab Mitte 1943 die Ausfuhren wieder herunterzufahren und sich das deutsche Reich dennoch als wichtigsten Lieferanten von Rohstoffen – vor allem Kohle und Eisen – sowie Lebensmitteln zu erhalten. Der Handlungsspielraum war zudem durch eine andere Bedingung vorgegeben: Im Bestreben, mit beiden Kriegsparteien im wirtschaftlichen Austausch zu bleiben, verbot es sich von selbst, einer Seite Konzessionen in einem Umfang zu machen, welche die andere zu einem Abbruch der Beziehungen veranlasst hätte.

Die Darstellung des Auf und Ab in den Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und dem Dritten Reich vermittelt ein Bild von Verhandlungen mit harten Bandagen, bei denen oft monatelang um eine neue Vereinbarung gerungen und ein zeitweiliger Abbruch der Gespräche mit entsprechenden Lieferunterbrüchen in Kauf genommen wurde. Dass dabei auch verbal grobes Geschütz zum Einsatz kam, dürfte nicht verwundern. Angesichts des sich versteifenden Widerstandes seiner Verhandlungskontrahenten – als Folge der zuungunsten der Achse kippenden Machtverhältnisse – versuchte der deutsche Delegationschef etwa mit der Drohung eine Meinungsänderung zu erwirken, sein Land werde sonst der Schweiz die ganze Härte ihrer Einkreisung fühlen lassen. Im Rückblick nach Kriegsende zog Hotz eine insgesamt positive Bilanz. Insbesondere sei zu beachten, dass über die fünf Kriegsjahre hinweg die Schweiz mehr importierte als exportierte, also mehr habe nehmen können als geben müssen.

Minister Jean Hotz wurde denn auch bei seinem Rücktritt mit allgemeinem Lob von der Öffentlichkeit verabschiedet. In grundsätzlicher Weise setzte erst der Schlussbericht der Bergier-Kommission vierzig Jahre später Fragezeichen, wenn er monierte, dass das Bemühen der Schweiz, den Handel mit Nazideutschland aufrechtzuerhalten, dem Leitgedanken der Humanität widersprach und einen Beitrag zur wirtschaftlichen Stabilisierung eines Unrechtregimes leistete. Mit diesen Vorbehalten setzt sich der Verfasser in einem Epilog kritisch auseinander. Seine Feststellung, dass Hotz nicht willfährig Hitlerdeutschland entgegenkommen wollte, dürfte unbestritten sein. Eine nazideutsche Parteiquelle spricht von einer «unglaublichen, geradezu klebrigen Zähigkeit» der schweizerischen Handelsdiplomaten. Umgekehrt gibt der Verfasser durchaus zu erkennen, dass sich Hotz nicht als Bannerträger idealistischer Parolen verstand. Er war ein Techniker des wirtschaftlichen Pragmatismus; seine Devise war «Do ut des». Aber er betont, dass sich Hotz sehr wohl auch an einen Leitgedanken von moralischem Wert hielt. Er wollte die Schweiz vor Hunger, Arbeitslosigkeit und sozialer Unrast bewahren. Damit mag zwar die Biographie von René Bondt einen Kontrapunkt zum Mainstream der aktuellen Diskussion setzen, in der aktuelle Überblickswerke zwar die Lieferungen an die Achsenmächte problematisieren, über die Einfuhren und ihre Bedeutung aber kein Wort verlieren. Doch kann ihre Lektüre die Sensibilität anregen, sich sowohl mit dem Pro wie dem Kontra geschichtlicher Fragestellungen auseinanderzusetzen.

Zitierweise:
Oscar Fritschi: Rezension zu: René Bondt: Der Minister aus dem Bauernhaus. Handelsdiplomat Jean Hotz und seine turbulente Zeit. Zürich, Verlag Neue Zürcher Zeitung, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 492-494.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 61 Nr. 4, 2011, S. 492-494.

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